Der Zirkel

Dunkel ist es geworden, öd und kalt. Einst war Grün die Farbe der Hoffnung, nun ist sie zur Dienerin von Macht und Gier geworden. Eine einzige Stimme wird verlangt, viele folgen dieser Forderung. In der Ferne glüht noch ein wenig von der Sonne. Doch sie verschwindet langsam, und mit ihr alle Ehre und Zuverlässigkeit. Wenn der Mensch nicht mehr so sein darf, wie er geworden ist, was bleibt ihm dann anderes, als sich von Norm und Vorschrift abzuwenden? Wie kann er sich dann noch geborgen fühlen in einer Welt aus Missgunst und Verleumdung? Die Sinne werden fad, es will nichts mehr so richtig schmecken. Einst war das Leben bunt und spannend, und ein gewaltiger Eindruck folgte dem anderen. Der Flug der Vögel war so aufregend, dass sich die Blicke nicht mehr von ihm abwenden konnten. Jeder Grashalm wurde zu einem Buch, das zu lesen ein heiliges Diktat darstellte. Jeder Baum wurde zu einem Aussichtsturm, der nach dessen Erklimmen den Blick auf unsagbare Wunder freigegeben hat. Das alles ist nun scheinbar verschwunden.

Wenn Überzeugung nicht mehr auf Wahrheit beruht, dann ist ihr jedes Mittel Recht, den Menschen in eine bestimmte Richtung zu drängen. Dann fällt der unveräußerliche Wert des Humanen den Häschern zum Opfer, und wird durch die Gassen der Stadt zum Schafott getrieben, wie ein Verbrecher nach seiner publikumswirksamen Verurteilung. Laut ist der Pöbel, kurzsichtig und feige. Den in Ketten gelegten, ehemals freien Geist will er verspotten, will ihm jeden Anstand nehmen. Was einem an Aufrichtigkeit fehlt, muss wohl durch Hass wettgemacht werden – so verlangt es das gesellschaftliche System. Der Eine muss für die Vielen geopfert werden, muss auf seine Vorteile verzichten, und im Ganzen aufgehen. Er muss verzehrt, verdaut und ausgeschissen werden, um dann seinen angestammten Platz in der Historie der Egomanie einzunehmen. Er wird schließlich zu einer Fußnote der Bedeutungslosigkeit herabgesetzt, weil seine rationalen Überlegungen in einer Welt aus Emotionalität keinen sichtbaren Platz haben dürfen.

Doch wenn die Nacht den Tag zur Gänze besiegt, ihn – wenn auch nur vorübergehend – um seine Vielgestaltigkeit bringt, dann beginnt die Hoffnung zu wachsen. Sie breitet sich als ein feines, nicht sofort wahrnehmbares Glimmen über alles aus. Beruhigend und tröstend ist sie, legt ihre zärtlichen Arme um die Geschundenen, küsst sie mit warmen Lippen und flüstert dann in die Ohren der nach Liebe und Anerkennung Dürstenden: “Fürchtet euch nicht, meine Kinder. Ich bin immer da und behüte euch. Ich bin immer bei euch, und leite euch auf den gefährlichen Wegen des Seins. Macht euch keine Sorgen, was der morgige Tag an Herausforderungen bringen wird, seid in eurem Zentrum. Wie sehr ihr auch versuchen mögt, die Welt nach euren Vorstellungen zu formen, sie wird euch nicht gehorchen. Alles Leben ist ein Spiel mit der Ungewissheit. Erst durch sie kann es Tiefe bekommen, kann durch das Bewältigen von Aufgaben Erkenntnis und Freude bringen. Löst euch vom Verlangen nach mehr, und ihr werdet für euren Verzicht belohnt!” Schließlich kehrt selige Ruhe ein – auf dass der kommende Tag der Ausweglosigkeit ihre zu Unrecht erlangte Macht entreißen möge!

Grüße.