Muse
2022-01-20
Dunkel ist es geworden, öd und kalt. Einst war Grün die Farbe der Hoffnung, nun ist sie zur Dienerin von Macht und Gier geworden. Eine einzige Stimme wird verlangt, viele folgen dieser Forderung. In der Ferne glüht noch ein wenig von der Sonne. Doch sie verschwindet langsam, und mit ihr alle Ehre und Zuverlässigkeit. Wenn der Mensch nicht mehr so sein darf, wie er geworden ist, was bleibt ihm dann anderes, als sich von Norm und Vorschrift abzuwenden? Wie kann er sich dann noch geborgen fühlen in einer Welt aus Missgunst und Verleumdung? Die Sinne werden fad, es will nichts mehr so richtig schmecken. Einst war das Leben bunt und spannend, und ein gewaltiger Eindruck folgte dem anderen. Der Flug der Vögel war so aufregend, dass sich die Blicke nicht mehr von ihm abwenden konnten. Jeder Grashalm wurde zu einem Buch, das zu lesen ein heiliges Diktat darstellte. Jeder Baum wurde zu einem Aussichtsturm, der nach dessen Erklimmen den Blick auf unsagbare Wunder freigegeben hat. Das alles ist nun scheinbar verschwunden.
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2021-11-10
Die Menschen sind wild geworden, haben ihre Furcht in Misstrauen umgewandelt. Bald wird es wohl soweit sein, und sie werden sich wie eine hungrige Meute von Wölfen auf mich stürzen. Sie werden mich umzingeln, ihre Zähne fletschen und die scharfen Krallen ausfahren. Ihre Leiber werden sich vor Wollust und Gier aufbäumen, und ihre Augen werden mich – das von ihnen auserkorene Opfer – nicht mehr loslassen. Dann wird es einen Moment geben, in dem die Zeit stillzustehen scheint. Die wahnsinnigen Rufe und Schreie, das entmenschlichte Gejaule wird in die Ferne rücken. Leise und sanft werden die Häscher verschwinden. Die Bewegungen werden langsamer, die Welt wird wie eingefroren sein. Dann werde ich im Zentrum meiner Seele stehen, und einen Augenblick der Vollendung und Gelassenheit erfahren. Dann werde ich meine Augen schließen, und ich werde den Zwängen – wenn auch nur kurz – entschwinden.
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2021-10-19
Er hat nicht lange gehalten, der Zustand der Eintracht. Wohl früh in meiner Geschichte hat es sich angedeutet, dass die Umstände ein Dezenium nicht überdauern können. Welchen Zeitraum bedarf es denn, um zu erkennen, dass ich schon längst woanders sein sollte? Schön war es gewesen und beeindruckend. Angekommen war ich im Hause der Geborgenheit. Allzeit zärtlich lachte mir das wärmende Licht in der Finsternis, wenn ich spät abends heimgekommen bin. Es war alles nicht perfekt, aber gut genug, um den fletschenden Zähnen der Menschheit für ein Weilchen den Rang abzulaufen. Die Zeit verging, und der Kompass schien mehr und mehr in andere Richtungen zu zeigen. Die Ziele klafften auseinander, das Verständnis für Individualität ging zunehmends verloren. Geblieben sind nur der Wunsch nach körperlicher Nähe, nach einer tröstenden Umarmung.
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